ESSAY-BRIEF

Essay-Brief  Juni 2018

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Die Stille, die du bist und der Sinn unseres Erdenlebens – Teil 1

© Bernd Helge Fritsch

 

Die Fragen lieben

Mit diesem und dem nächsten Essay-Brief betreffend „Die Stille“ und den „Sinn unseres Erdenlebens“ berühren wir die grundlegendsten Fragen des Seins. Keineswegs hat der Autor dabei die Absicht fertige Lösungen oder gar „Glaubensinhalte“ zu vermitteln. Er versucht dem Leser lediglich Anregungen zu geben, Antworten nach dem Sinn seines Daseins selbst zu finden. Was in heiligen Schriften oder in Büchern steht, was weise Leute uns erzählen, kann uns wertvolle Anregungen vermitteln. Doch letztlich hat für unsere Seele nur das bleibenden Wert, wird uns nur das heilsam verändern, was wir selbst innerlich schauen. Wenn du Fragen hast, so geh davon aus, dass alle deine Fragen in der Tiefe deines Herzens bereits beantwortet sind. Am besten ist, du verhältst dich dabei wie es Rainer Maria Rilke empfiehlt:

„…man muss den Dingen nur die eigene stille, ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann.“

Es gilt „zu reifen wie ein Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht.“

„Man muss Geduld haben mit dem Ungelösten im Herzen und versuchen die Fragen selbst lieb zu haben.“

„Es handelt sich darum alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.“

 

Diese Art in sich hinein zu horchen, die Fragen selbst zu lieben und mit ihnen zu leben haben bereits vor rund drei tausend Jahren die indischen Rishis (Weisen) gelehrt. Um zu erkennen und zu erfahren wer wir sind, empfahlen sie „Selbst-Befragung“ (sanskrit: atman-vicara) zu praktizieren. Es bedeutet sich selbst zu fragen: „Wer bin ich?“. Dabei ist jeder Versuch, aus dem Verstand heraus eine Antwort zu finden, zu vermeiden. Stell dir einfach nur diese Frage immer wieder und horche dabei still in dich hinein. Sehr bald wirst du durch diese Übung eine wohltuende Gelassenheit und ein hohes Maß an Bewusstheit erfahren. Schließlich werden alle deine Fragen auf einer Ebene jenseits des üblichen Denkens auf wundersame Weise beantwortet.

Die Stille, die du bist

Anhaltend glücklich sein, in Harmonie und mit dir selbst und der Welt leben, kannst du nur, wenn dir bewusst wird, wer du wirklich bist.

Um zu erfahren, wer du bist, ist es erforderlich in die Stille zu gehen. Stille entspricht totaler Gegenwärtigkeit, das heißt, zumindest zeitweilig frei zu sein von Gedanken. Stille ist mehr als die bloße Abwesenheit von Lärm. Stille ist das Sein bevor es sich für unsere Sinne in der äußeren Welt als die Vielheit der Formen offenbart.

Still sein bedeutet selbstlos wahrzunehmen, zu sein ohne beurteilen, ohne etwas zu wollen. In der Stille begegnest du dir selbst. Es bedeutet bei sich angekommen zu sein und in sich zu ruhen. Alle Sorgen und Probleme fallen dabei von dir ab. In der Stille bist du weder dies noch das, sondern du bist reines, unvergängliches Bewusstsein.

In der Stille erzählen dir Tiere, Pflanzen und selbst Steine von ihrem Sein. Du hörst die Menschen denken und du hörst sie sprechen, selbst wenn sie nichts sagen. Und du liebst sie alle und alles. Du liebst das Sein wie immer es dir begegnen mag.

Die Stille ist voller Leben. Sie ist der Ursprung aller Wesen und Dinge. Doch sie hat keine Form, deshalb ist sie weder für unser Denken noch für unsere Sinne wahrnehmbar. Sie wird für dich erst dann bewusst und intensiv erfühlbar, wenn der Lärm deiner unkontrollierten Gedanken verstummt. Dann spürst du ihre Seligkeit, ihre Freude, ihren Frieden.

Geh also in diese Stille, lass dich ein auf diese Stille, fühle sie, spüre sie, liebe sie, gib dich ihr hin und du wirst dein wahres Wesen in ihr erfahren! Sodann kannst du wieder hinausgehen in die äußere Welt, ihre Schönheit wahrnehmen, ihre Botschaft erkennen und ihre Geschenke mit anderen teilen.

So wie jeder Ton aus der Stille kommt und zu ihr zurückkehrt, so entfalten sich auch alle Erscheinungen der äußeren Welt aus der Stille und kehren, wenn ihr irdisches Dasein zu Ende geht, in die Stille zurück. Das gilt auch für uns Menschen. Unser Werden und Vergehen ist ein wundersam schöner Vorgang. Leben zu dürfen ist ein Geschenk und ebenso ist es ein Geschenk den Körper und die Bühne Erde wieder verlassen zu dürfen und in die Einheit zurück zu kehren.

Unser Bewusstsein

Die Stille ist identisch mit unserem eigentlichen Sein, mit unserem Bewusstsein. Wir können unser Bewusstsein nicht anschauen, nicht angreifen und doch ist es unser „Allernächstes“, nämlich das, was wir sind.

Gewöhnlich erfahren wir nur die Inhalte unseres Bewusstseins, nicht das Bewusstsein selbst. Wir kennen nur, was unsere Sinne wahrnehmen und was wir dabei denken, fühlen und wollen. Fixiert auf unsere Sinneswahrnehmungen und den mit ihnen verbundenen Gedanken entgeht uns unser „Selbst“, unser Wesenskern. Daher befindet sich der Mensch in der Regel in einem Zustand „außer sich“ und ist sich seines Bewusstseins nicht bewusst.

In der Folge identifizieren wir uns mit den Inhalten unseres Bewusstseins. So leben die meisten Menschen in einer Welt von vergänglichen Erscheinungen und halten diese für die alleinige Realität.

Bewusstsein ist die Basis von allem Sein und ist ebenso die Basis unseres Erdenlebens. Ohne Bewusstsein gibt es keine Wahrnehmungen. So endet im Zustand vorübergehender Bewusstlosigkeit unsere Fähigkeit uns mit der Welt zu verbinden. Unser Bewusstsein verlässt bei einer Ohnmacht unseren Körper und wechselt über in das Reich der geistigen Welt. Dieser Wechsel ereignet sich auch jede Nacht, wenn wir vom Tages-Bewusstsein in den Tiefschlaf hinüber gehen.

Es gibt nur „ein“ Bewusstsein

Unser Bewusstsein ist der „Raum“ in dem die Inhalte unserer Sinneswahrnehmungen sowie unserer Gedanken und Gefühle erscheinen. Dieser Raum hat grenzenlose Weite. Sein Fassungsvermögen für Ideen, Gedanken, Erfahrungen, Gefühle und so weiter kennt keine Beschränkung.

In der Weite des Makrokosmos spiegelt sich der unbegrenzte Weite unseres eigenen Bewusstseins. Sowohl der Weltenraum als auch der Raum unseres menschlichen Bewusstseins entsprechen dem allumfassenden Sein. Es gibt im Grunde nur „einen“ Raum, nur „ein“ Bewusstsein, welches auch als allumfassendes Sein, zuweilen als „Gott“, bezeichnet wird. Aus diesem formlosen Sein ist das sichtbare Universum mit all den Milliarden von Galaxien hervorgegangen. Bewusstsein ist somit die lebendige Quelle aller Erscheinungen in der äußeren Welt.

Niemand hat jemals einen „Raum“ mit seinen Sinnen wahrgenommen. Was wir wahrnehmen können sind lediglich die Dinge im Raum. Dennoch gibt es zweifellos Raum, denn wo sonst sollten die Objekte, welche unsere sichtbare Welt darstellen, erscheinen?

Obwohl überall stets gegenwärtig, in uns und um uns, übersteigt das Wesen des Bewusstseins all unsere gedanklichen Vorstellungen. Nur in der Stille begegnen wir uns selbst, wird Bewusstsein seiner selbst bewusst. In der Stille erwachst du zu deinem geistigen Sein.

Höchstes Bewusstsein kennt keine Grenzen

Der Weltraum kann nur scheinbar seine unvorstellbare, jenseits aller Formen bestehende Weite verlieren, wenn wir ihn beispielsweise in einen Topf oder in den Wohnraum eines Hauses „einsperren“. Doch er wird sofort wieder „befreit“ und mit der Totalität des Seins vereinigt, wenn der Topf zerbricht oder wenn die Türen und Fenster eines Wohnraums geöffnet werden.

Ebenso wie der Weltraum kennt unser Bewusstsein keine Begrenzungen. Wir können auch nicht sagen: „Hier endet das universelle Bewusstsein und hier beginnt mein individuelles Bewusstsein“. Nur durch unser Denken, unser Analysieren und Unterscheiden entsteht Trennung, entsteht unser persönliches Sein.

Unser Bewusstsein wird zwar durch die in ihm auftauchenden Inhalte, wie Gedanken, Gefühle und Sinnes-Wahrnehmungen vorübergehend beschränkt, eingeengt und unfrei gemacht. Doch sobald wir wieder in die Stille, in den gedankenfreien Bewusst-Seins-Raum eintreten, erkennen wir die Täuschung. Nun können wir die beglückende Weite des Bewusstseins, unsere Verbindung mit allem Sein, die Liebe, die wir sind, erfassen, erleben und eins mit ihr sein.

Im höchsten Bewusstsein ist alles mit allem verbunden, ist alles „ein“ Sein. So wird auch unser Ego-Bewusstsein befreit, wenn es seine Verbundenheit mit allem übrigen Sein erkennt.

Jeder Mensch  – eine Inkarnation Gottes

Bei der Geburt eines Menschen verbindet sich das universelle, göttliche Bewusstsein mit einem menschlichen Körper und wird auf diese Art zu einer menschlichen Seele. Damit eine solche Inkarnation stattfinden kann, musste im Zuge der Evolution des Universums durch Millionen Jahre hindurch der menschliche Körper zu jenem Wunderwerk entwickelt werden, welches für ein göttliches Bewusstsein geeignet ist als Wohnsitz zu dienen. Mit Hilfe dieses Wunderwerks sind wir während unseres Erdenlebens fähig zu denken und zu fühlen, zu wollen, zu handeln, uns zu erinnern und bewusst zu sein.

Unsere Seele ist ein denkendes und fühlendes Wesen, welches einerseits eng mit seinem Körper verbunden und von dessen Bedürfnissen eingeschränkt und gesteuert wird. Andererseits ist es, dank seiner Herkunft, von göttlicher Art. Allerdings ist in der Regel der Einfluss des Körpers auf die Seele so stark, dass der Mensch – besser gesagt die Gottheit im Menschen – ihre Herkunft vergisst und sich mit dem Körper sowie mit seinen Gedanken und Gefühlen identifiziert.

Trotz dieses Vergessens bleibt die Seele in ihrem Innersten stets vereint mit ihrem göttlichen Ursprung. Es ist dieser göttliche Wesenskern, der in jedem Mensch ein eigenes Zentrum von Bewusstheit bildet. Dieses Zentrum offenbart sich als unser Grundgefühl zu sein, als unser „Ich bin“.

Unser „Ich bin“ existiert unabhängig von dem, womit sich der Mensch identifiziert, von dem, was er glaubt zu sein, unabhängig davon, welche Rolle er im äußeren Leben gerade spielt. Es ist unabhängig vom Zustand seines Körpers. Unser „Ich bin“ ist unser unvergängliches individuelles Sein, jenseits von Zeit und Raum.

Unser Gott-Sein

Die meisten Menschen haben ein großes Problem mit der Vorstellung, einen göttlichen Wesenskern zu besitzen. Sie ziehen es vor ihr Ego-Dasein mit seinen Sorgen und Problemen zu erdulden und irgendwelchen Wünschen, Hoffnungen und Träumen hinterher zu eilen. Sie vermeinen es würde ihrer Religion widersprechen und sei Blasphemie sich mit Gott zu vergleichen. Doch war es nicht so, dass Gott nach dem Alten Testament (1 Mose 1:27) den Menschen zu seinem Ebenbilde schuf? Nur Jesus wagte es sich als „Eins“ mit seinem Gott-Vater zu bezeichnen und verwies die Juden, die ihn deshalb steinigen wollten auf ihre eigene heilige Schrift in der geschrieben steht: „Ihr alle seid Götter“ (Joh. 10:34, Psalm 82:6)

In der Vedanta- und Advaita-Tradition altindischer Weisheit, so auch in der Bhagavad-Gita, lebt hingegen die selbstverständliche Überzeugung: „Atman ist Brahman“. Das heißt: Unser individueller Wesenskern ist identisch mit der höchsten Gottheit Brahman. Allerdings war und ist es auch heute in Indien und weltweit so, dass dieses Wissen kaum jemand begreift und dass kaum jemand bereit und fähig ist diese Weisheit sowohl in seinem Bewusstsein als auch in seinem praktischen Leben zu verwirklichen.

Das Problem liegt darin, dass die Menschen einen Gott anbeten, ohne zu wissen wer oder was er ist. Doch die Lösung ist ganz einfach: Vergiss all deine bisherigen Vorstellungen von Gott, werde still, geh in dich und du wirst ihm begegnen.

Unsere Individualität

Die Inkarnation des Bewusstseins in einem menschlichen Körper verursacht eine scheinbare Begrenzung dieses Bewusstseins. In der Folge kommt es zu einer Identifikation mit unserem Körper und unserem Denken. Auf diese Weise wird der Gott im Menschen zum „verlorenen Sohn“. Dieser reift in der Fremde, getrennt vom seinem „Vaterhaus“, durch schmerzvolle Prüfungen heran zu einer eigenständigen Individualität.

Doch dazu mehr im nächsten Essaybrief.